Über 18 Jahre beriet Prof. Dr. Günther Bachmann als Generalsekretär des Nachhaltigkeitsrates die Bundesregierung. Mit Kreativität und manch unkonventioneller Vorgehensweise hat er die Entwicklung der Nachhaltigkeit in Deutschland maßgeblich mitgestaltet

Interview: Iris Rodriguez

2001 wurde der Nachhaltigkeitsrat unter der rot-grünen Regierung Schröder ins Leben gerufen. Was hat sich in Deutschland durch die Arbeit des Rates verändert?

Laut einer Umfrage der Bundesregierung können heute 84 Prozent der Deutschen etwas mit dem Begriff Nachhaltigkeit anfangen, 2001 waren dies gerade einmal 13 Prozent. Das geht natürlich nicht alles auf uns zurück, aber wir konnten so manche gesellschaftliche Veränderung anschieben: durch Ermutigung, Zuspruch, viele eigene Initiativen und indem wir Ziele vorschlagen. Sie müssen wichtig und spannungsreich sein und die Menschen müssen sich konkret etwas darunter vorstellen können.

Ein Beispiel ist der Ökolandbau. Das damals von uns aufgestellte Ziel lautete 20 Prozent ökologisch bebaute Fläche. Da haben alle gesagt: „Das ist doch verrückt, total illusionär.“ Aber heute gibt es einen regelrechten Run: Immer mehr Landwirte wollen in den Ökolandbau, weil man damit noch Geld verdient und zu den Guten gehört. Die Supermärkte haben ebenfalls reagiert. Das ist eine Entwicklung, die vor 20 Jahren keiner für möglich gehalten hätte.

Worin sehen Sie für Ihre Arbeit die Herausforderung?

Als ich 2001 die Chance bekam, meine jetzige Position zu übernehmen, dachte ich mir: Wenn mich keiner aufhält, mache ich einiges anders – solange, bis mich jemand aufhält. Ich habe mich gefragt: Was kann ich tun, um das Set-up zu verändern? Darauf habe ich in meiner Arbeit immer die meisten Gedanken verwendet.

Welchen Schwierigkeiten sind Sie beim Voranbringen nachhaltiger Entwicklung begegnet?

Ich würde sagen, der Umstand des weit verbreiteten Silodenkens in unserem Land. Da denken Lehrer über Bildung für nachhaltige Entwicklung nach, sitzen Landwirte zu Themen wie Naturschutz und Milchpreise zusammen, stellen Förster fest, dass es einen Waldumbau braucht. Ein Autohaus wiederum möchte von Benzin- auf Elektroautos umstellen und ein Bäcker bietet an, nicht gegessenes Brot zurückzunehmen – und alle machen es unter dem Stichwort Nachhaltigkeit.

Übereinander allerdings wissen sie nichts. Da haben wir gesagt: Wir verknüpfen die Silos. Und weil das nur regional geht, haben wir vier regionale Vernetzungszentren gegründet, die RENN (Regionale Netzwerkstellen Nachhaltigkeitsstrategie).

Was hat Ihnen an Ihrer Arbeit besonders viel Spaß gemacht?

Nachhaltigkeit inhaltlich so zu fassen und zu präsentieren, dass ich in den Gesichtern der Leute sehe: Jetzt verändert sich gerade etwas und die Menschen sagen: Das geht mich etwas an. Solche Interventionen immer wieder hinzukriegen, darin liegt für mich der Charme, das macht mir Spaß. Das gilt übrigens auch im Rat intern mit unserem Team.

Vergangenes Jahr sind wir in die Schachtanlage Asse gefahren, wo für 100.000 Jahre der radioaktive Müll gelagert wird. Wir kommen also unten im Salzstock an und plötzlich plätschert es. 12 Kubikmeter Wasser dringen da unten täglich ein. Wasser, Salz? Atommüll im Wasser? Das ist eine körperliche Erfahrung, als Lehrstück besser als jedes Seminar über unsere Fähigkeit zu dauerhaften Lösungen und zur Langfristigkeit von Generationsverträgen. Man spürt fast körperlich: Da stimmt etwas nicht.

In Ihrer Position konnten Sie viel bewegen – worauf sind Sie besonders stolz?

Dass wir es als Team des Rates und der Geschäftsstelle geschafft haben, das Thema Nachhaltigkeit auf der Höhe der Politik zu halten, und zwar während fünf verschiedener Regierungen mit vier Farben. Da hätte man auch schon mal abstürzen oder in Vergessenheit geraten können. Ich höre von politischen Profis oft: „Du redest ja immer noch über Nachhaltigkeit, hast du nicht mal etwas Neues?“ Ich antworte: „Es ist das Thema des 21. Jahrhunderts und man muss verstehen, dass alle modernen Themen wie Digitalisierung im materiellen Kern etwas mit Nachhaltigkeit – oder auch mit Nicht-Nachhaltigkeit – zu tun haben.“

Das Thema erledigt sich nicht, nur weil bereits ein paar Jahre darüber geredet wurde. Das ist eine falsche Perspektive. Gut war auch, dass wir die UN-Ziele zur Nachhaltigkeit von Anfang an und früher als andere unterstützt und auf die deutsche Situation hin angewendet haben. Das hat die Bundesregierung zu einer grundlegenden Neufassung der Nachhaltigkeitsstrategie bewogen.

Was ist nicht so gut gelaufen?

Zwei Beispiele.

Mobilität: Wir sind aus dem Technikpfad Verbrennungsauto zu lange nicht herausgekommen. Als es bereits 2001/2002 um die Mobilität ging und wir den Dialog mit Industrie und Regierung als Teil der Nachhaltigkeitsstrategie angestoßen hatten, wollten die Konzerne nicht in die Elektromobilität hinein. Damals hätte man statt Dialog ohne Ende besser ganz präzise die Alternativen auf den Tisch gelegt: Gesetz und Fördermaßnahmen. Deutschland hat da 15 Jahre verloren.

Ökosteuer: Wir hatten vor 13 Jahren einen guten internen Entwurf der Umwelt-und Industrievertreter im Rat für eine engagierte Ökosteuer, die „gelbwestenfest“ war (damals machten in Deutschland der ADAC und die Bild-Zeitung die Opposition aus). Aber wir haben das nicht durch den RNE (Rat für Nachhaltige Entwicklung) gekriegt.

Einmal jährlich wird der Deutsche Nachhaltigkeitspreis verliehen, den Sie mit ins Leben gerufen haben. Ein Projekt mit Strahlkraft.

Ja, 12 Jahre ohne einen Fall von billigem GreenWashing. Den Unternehmen ist es ernst. Sie sind verpflichtet, alles offenzulegen. Vor allem aber fördert der Preis den Wettbewerb hin zu mehr Nachhaltigkeit.

Als wir zum Beispiel 2012 Unilever für seine Zukunftsstrategie auszeichneten, hat der Konzern im Nachgang gemeinsam mit Henkel und anderen das Forum Palmöl gegründet.

Oder die Auszeichnung des Herstellers Frosch 2009: Das Unternehmen hat daraufhin seine Recyclat-Initiative gestartet und ein wichtiges Signal für die Plastikdebatte gesetzt. Der Preis vermittelt die Frage: Schaut, die können es, warum können es die anderen nicht?

Anfang 2020 haben Sie den Nachhaltigkeitsrat verlassen. Werden Sie auch in Ihrer neuen Lebensphase den Nachhaltigkeitsthemen treu bleiben?

Keine Sorge, ich schalte dann nicht auf Hyperkonsum und Wegwerflogik um. Wo und wie genau ich mich weiter einschalte, das wird sich zeigen. Aber Abschalten ist mein Plan nur, was Atom- und Kohlekraftwerke angeht, aber nicht Engagement. Zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele kann jeder beitragen.

Was ist Ihr Aufruf an jeden Einzelnen?

Die meisten Menschen wählen, aber kaum jemand fragt seine Wahlkreisabgeordneten, was sie zum Thema Nachhaltigkeit tun. Das ist mein Appell: Einfach mal ins Wahlkreisbüro gehen und nachfragen. Dort wäre man mitunter sicherlich sehr überrascht.


Der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE), 2001 von der rot-grünen Regierung berufen, hat die Verankerung der 17 Nachhaltigkeitsziele in der Agenda 2030 aktiv mit begleitet. Der Rat wirkt als Schwungrad für die deutsche Nachhaltigkeitspolitik. Seine Mitglieder werden alle drei Jahre neu berufen oder bestätigt, seit 2001 gehörten ihm rund 50 Personen aus allen Bereichen der Gesellschaft an. Über die Position des Generalsekretärs entscheidet das Bundeskanzleramt. Beispielhafte Initiativen und Projekte des Rates:

  • Taten für Morgen,
  • Aktionstage Nachhaltigkeit,
  • Hub Sustainable Finance,
  • Deutscher Nachhaltigkeitskodex,
  • Regionale Netzwerkstellen Nachhaltigkeitsstrategie (RENN),
  • Deutscher Nachhaltigkeitspreis
  • www.nachhaltigkeitsrat.de