Kühe schlendern durch ein Einkaufszentrum. Ein kleiner Junge kuschelt sich auf den Bauch eines schlafenden Schweins. Kälber entspannen gemeinsam mit Menschen auf der Picknickdecke. Die Ölgemälde von Hartmut Kiewert sind schon fast paradiesisch anmutende Augenblicke – und gerade deshalb so irritierend. Denn in unserem Alltag begegnen wir den sogenannten Nutztieren meist nur portionsweise und hygienisch verpackt im Supermarkt in Form von Eiern, Milch- und Fleischprodukten.

Straßenszene, zwei Jungen vor Gaffitiwand kippen Eimer mit Äpfeln vor zwei Fernkeln aus
BROTHERS FROM DIFFERENT MOTHERS, 2016, Öl/Lwd., 145 x 195 cm

Durch das ungesehen harmonische Miteinander schafft der Künstler eine Nähe zwischen Mensch und Tier, die es in Wirklichkeit so nicht gibt. „Insbesondere die Fleischproduktion wird in unserer Gesellschaft stark aus dem allgemeinen Bewusstsein verdrängt“, erklärt der Leipziger. Man habe nur noch die Waren, nicht aber die Individuen vor Augen. Die dahinterstehende Industrie wird nur selten in dem Ausmaß, wie sie tatsächlich arbeitet, wahrgenommen.

Utopien für mehr Tierwohl mit veganer Ölfarbe

Auf dem Werksgelände der ehemaligen Baumwollspinnerei in Leipzig, wo nach der Wende Kunst und Kultur die Fabrikgebäude erobert haben, hat der Maler sein Atelier. Halbfertige Bilder lehnen an weißen Wänden, die Sonne scheint durch große Fenster auf den rotbraun lackierten Estrichboden, ein Rollwagen mit veganer Ölfarbe und Pinseln neben der Staffelei.

Seit über zehn Jahren setzt sich Kiewert in seiner Kunst mit Fragen zum gesellschaftlichen Mensch-Tier-Verhältnis auseinander.

Sein Ansatz:

  • Wie werden sogenannte Nutztiere wahrgenommen?
  • Wie kann ich in der Vorstellungswelt etwas verändern?
  • Wie zu einer anderen Sichtweise auf die Tiere beitragen?
Menschen sowie eine Kuh und Hühner sitzen auf bunter Treppe, Gaffiti an einer Wand
BUNTE STUFEN, 2017, Öl auf Leinwand, 120 x 150 cm
"Ich versteht meine Bilder nicht als utopische Blaupausen, sondern als Denkanstöße, die auf die Leinwand gebracht wurden. Ganz bewusst zeige ich in meinen Werken nicht das Elend, erhebe nicht den Zeigefinger, sondern setze auf die Kraft positiver Bilder."

Die friedvollen Szenen, die in seiner Fantasie entstehen, sind bis zu 15 Quadratmeter groß und ziehen den Betrachter in den Bann. An der Resonanz der Betrachtenden spürt Kiewert, dass etwas in den Köpfen stattfindet und es über die Kunst gelingt, Menschen durch einen positiven Ansatz zum Nachdenken anzuregen.

„Ich werde es jetzt nicht allein mit meinen Bildern schaffen, dass die Menschen aufhören, tierische Produkte zu konsumieren, aber ich werfe mit meiner Arbeit Steine in eine Waagschale, in die auch viele andere etwas hineinlegen. Vielleicht kommt irgendwann der Moment, wo Menschen tatsächlich in ihrem Alltag etwas verändern möchten."

Selbstverständlich konsequent vegan leben

Hartmut Kiewert selbst hat das vor langer Zeit getan: 2001 traf er die Entscheidung, sich vegetarisch, später dann auch vegan zu ernähren. „Ich habe mich mit meinen Maßstäben nach dieser Entscheidung mehr eins gefühlt“, erklärt er rückblickend. Er versteht dennoch, dass Menschen mit Vegetarismus und Veganismus hadern und darin eher den Verzicht sehen. „Ich bin ja auch nicht als Vegetarier geboren und weiß, dass es manchmal schwer fällt“, räumt er ein. „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und es erfordert Energie, Gewohnheiten zu ändern.“

Maler in seinem Atelier vor einem seiner Werke, lehnt sich an den Rollwagen mit Farben und Pinseln
Der Maler in seinem Atelier in der Leipziger Baumwollspinnerei

Doch viel schwieriger empfand er den Druck aus dem sozialen Umfeld. „Als ich vor 18 Jahren aufgehört habe, Fleisch zu essen, fühlte ich mich manchmal wie der lebende Vorwurf – es ist leichter, auf Wurst und Steak zu verzichten als das auszuhalten“, weiß er aus eigener Erfahrung.

Befreite Tiere, die in einer zukünftigen Landschaft vor verfallenen Schlacht- und Masthöfen ihr Leben in Freiheit genießen – auch dies sind Motive seiner Reihe Animal Utopia. In seiner Vorstellungskraft hat der Leipziger Künstler die Tierbefreiung bereits vollzogen, die es in der Realität vielleicht niemals geben wird.

Doch so ist das Wesen von Utopien: Sie zeigen Träume von einer anderen, von alternativen Welt. Und regen über positive Bilder an, einfach auch mal den Status quo infrage zu stellen.

Mitmachen:

  • Pflanzliche Alternativen zu Tierprodukten ausprobieren und darüber reden
  • Gemeinsam mit Freunden mal eine vegetarische oder vegane Woche machen und schauen, wie sich das anfühlt
  • Mit dem eigenen Enthusiasmus auch andere anstecken. Darauf lässt sich aufbauen

Danke an Hartmut Kiewert, dass wir hier einige deiner wunderbaren Werke veröffentlichen dürfen. Mehr: www.hartmutkiewert.de

Bilder: © Hartmut Kiewert; Headerbild: LAZY AFTERNOONII, 207, Öl auf Leinwand 120 x 150 cm