Die Frau mit den grünen Augen blickt ernst in die Kamera, ganz nah ist ihr Gesicht und gesprenkelt mit kleinen Plastikpartikeln. Ein starker Appell, der sagt: So weit ist es gekommen, dass wir das Plastik schon in unseren Gesichtern haben. Die Idee für dieses Selbstporträt der Künstlerin Swaantje Güntzel, mit dem sie auf Mikroplastik in Kosmetik aufmerksam macht, hat die Meeresschutzorganisation „Ocean. Now!“ zu ihrer Kampagne „In Your Face“ inspiriert. In gleicher Weise und Optik zeigten sich viele Prominente, wie Ranga Yogeshwar oder Luisa Neubauer, mit Mikroplastik im Gesicht. Mit ihrer Idee hat die Künstlerin viel Aufmerksamkeit für das Thema Mikroplastik geschaffen.

„Ich glaube daran, dass Kunst eine gesellschaftliche Verantwortung trägt“.

Auseinandersetzung mit Plastikmüll

Die Hamburger Künstlerin sieht im Rückblick auf die letzten beiden Jahre, dass sich die Kunstwelt für nachhaltige Themen wie Plastikmüll und Müll in Meeren öffnet. „In diesem Jahr wurde ich für so viele Ausstellungen angefragt wie noch nie“, freut sich Swaantje Güntzel. In ihren Arbeiten geht es um das Verhältnis von Natur und Mensch, ein Schwerpunkt ist die Belastung der Natur durch Plastikmüll. Immer wieder wurde die Hamburgerin von ihrem Publikum gefragt: Darf Kunst das überhaupt? Kann man das überhaupt Kunst nennen? Bedeutende Ausstellungshäuser wie das Museum der bildenden Künste Leipzig oder der Gropius Bau in Berlin haben darauf eine klare Antwort: Ja!

In ihren Ausstellungen Zero Waste, an der Güntzel teilgenommen hat, und Down to Earth geht es um Müll beziehungsweise Klimawandel. Das ist eine ebenso inspirierende wie spannende Entwicklung. „Ich merke, dass die Reaktionen auf diese Arbeiten ganz anders sind, weil es jetzt als selbstverständlich wahrgenommen wird, dass sich Künstlerinnen und Künstler mit dem Thema beschäftigen“, so die Künstlerin.

Plastikmüll einsammeln und wieder verteilen

Das war nicht immer so. Keiner weiß das besser als die Pionierin dieser Kunstform. Seit über zehn Jahren zeigt Swaantje Güntzel in ihren Arbeiten die Auswirkungen menschlichen Handelns auf die Natur. So hat sie mit ihrer Performance Plastisphere, mit der sie Weggeworfenes und Vergessenes wieder sichtbar macht, herumliegenden Plastikmüll an einer Stelle eingesammelt, um ihn dann in einer fast schon feierlichen Zeremonie nur wenige Hundert Meter weiter wieder zu verteilen. Für dieses Müll umlagern wurde sie von den Menschen beschimpft, bespuckt, geschlagen:

Künstlerin wirft Mül in einen dänischen Fjordl, den sie zuvor an einem anderen Strand gesammelt hat Foto: HC Gabelgaard, © Swaantje Güntzel
„Ich bekam viele Rückmeldungen, dass ich den Leuten den Tag versaue.“

Anfangs nahm sie es persönlich, bis sie merkte, dass es nichts mit ihr und ihrer Kunst zu tun hat, sondern eine grundsätzliche Haltung diesen Themen gegenüber war. „Wir, als Kollektiv, tragen alle durch unser Verhalten, unseren Konsum, unsere Vorstellungen vom Leben dazu bei, dass die Welt so aussieht. Es ist unsere Gegenwart, die von uns Menschen geschaffen wurde.“

Natur zur Selbstinszenierung

In solchen Reflexionen kommt die Anthropologin in ihr zum Vorschein: Vor der Kunst studierte sie Ethnologie und lernte, die Gesellschaft und deren Entwicklung aufmerksam zu beobachten. Dabei stellt sie komplexe Verhaltensmuster fest, die in ihre Arbeit einfließen. „Der Mensch hat sich von der Natur dissoziiert“, so ihre These. Er betrachte die Natur als Kulisse seiner Selbstinszenierung – man denke nur an die Influencer auf Instagram, die zu Tausenden zu einer spektakulären Naturkulisse reisen, nur, um sich selbst dort zu fotografieren und wieder abzureisen. Oder an die Heerscharen derer, die diese Bilder nach einem flüchtigen Blick auf ihr Handy weiterleiten. „Bilder nachleben, reproduzieren, hunderttausendfach – das ist für mich die pervertierte Form der Naturvorstellung.“

Artensterben, Klimawandel, Plastik in Meeren

Kunst kann Menschen berühren und Perspektiven aufzeigen, Tabus brechen, wachrütteln, irritieren und inspirieren. Und damit kann die Kunst bei den großen Themen der Gegenwart wie Klimawandel, Artensterben oder Verschmutzung der Meere durch Plastik andere Wege gehen, ihnen sogar mit Ästhetik begegnen. So kommen Emotionen ins Spiel. Vielleicht wirken sie noch stärker als all das Wissen und die Fakten, die schon lange vorliegen.

SPRING CLEANING Fårö 2011, Persona Beach, Foto Jan Philip Scheibe, ©Swaantje Güntzel

Mitmachen

Auf mikroplastikfreie Alternativen umsteigen, Kleiderschrank nach und nach von Kunstfasern befreien, regional und möglichst unverpackt einkaufen, im Freundeskreis Challenges wie „plastikfreier Monat“ ausrufen

www.swaantje-guentzel.de

Headerbild: ©Swaantje Güntzel, Foto: Henriette Pogoda