Drei Flugstunden nördlich von Oslo. Ein unwirtlicher, kalter, weit entfernter Flecken Erde, wo es selbst im Juli nicht wärmer wird als sechs Grad. Hier liegt Longyearbyen, Verwaltungssitz der zu Norwegen gehörenden Inselgruppe Spitzbergen (norwegisch: Svalbard). Knapp 2.000 Menschen leben in diesem Ort, der zwischen dem Meer und schneebedeckten Bergen liegt. Aus einem der Berghänge ragt ein mächtiger Betonblock heraus versehen mit einer sprengstoffsicheren Stahltür. Der perfekte Drehort für einen James-Bond-Film. Willkommen beim bestgeschützten Tresor der Welt: Die globale Saatgutbank des Crop Trust.

Samen aus aller Welt tief im Innern des Berges

Hinter der massiven Türe dringt ein Tunnel aus meterdicken Stahlbetonwänden 150 Meter tief in den Berg hinein und mündet in eine große, weiße Halle, die wie eine unterirdische Kathedrale wirkt. Am Ende der Halle eine weitere Stahltür und dahinter endlich das Herz des ungewöhnlichen Bauwerkes: der Tresorraum für 1.051.157 Nutzpflanzensamen.

Ein Tunnel führt tief in den Berg

Nummerierte Stahlregale voller Kunststoffboxen, jede mit einem Barcode versehen. Aus der ganzen Welt werden die Samen hierher gebracht, um für viele Jahrhunderte sicher eingelagert zu sein, darunter Maissamen aus Lateinamerika, Kartoffelsamen aus Deutschland und tausende Reisarten aus Süd- und Südostasien. Obgleich es weltweit 1.700 regionale Saatgutbanken gibt, schicken diese ihre Samen – ähnlich einer Sicherungskopie – nach Spitzbergen.

Hochsicherheitstrakt für die Welternährung

Das Saatgut ist mittels modernster Sicherheitstechnologie vor jeder nur denkbaren Gefahr geschützt. Es gibt Überwachungskameras und Bewegungsmelder, hochempfindliche Sensoren messen rund um die Uhr die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit. Der Permafrost, der den Boden in dieser Region über 100 Meter tiefgefroren hält, stellt im Berg eine natürliche, dauerhafte Temperatur von minus 18 Grad sicher, es gibt wenig Feuchtigkeit und keine messbare Strahlung. Rund 130 Meter über dem Meeresspiegel könnten selbst stark steigende Meeresspiegel keinen Schaden anrichten. Zudem ist Spitzbergen geologisch und politisch stabil. Und nicht zuletzt gibt es auch einen natürlichen Schutz: herumstreunende Eisbären.

Stiftungsfond für Kulturpflanzenvielfalt

Der Saatgut-Tresor ist Eigentum des Norwegischen Ministeriums für Landwirtschaft und Ernährung und wurde als Dienst an der Weltgemeinschaft eingerichtet. Er wird vom Global Crop Diversity Trust (Welttreuhandfonds für Kulturpflanzenvielfalt) verwaltet. Aufgabe des Crop Trust ist es, die globale biologische Vielfalt zu erhalten und so viel Genmaterial wie nur möglich zu bewahren.

Eine große Aufgabe, der sich seit Anfang 2020 Dr. Stefan Schmitz als Executive Director des Fonds widmet. Ernährungssicherheit und der Schutz der pflanzengenetischen Ressourcen sind seit langem Kern seiner Arbeit. Zuvor war er stellvertretender Generaldirektor und Beauftragter für die Initiative "Eine Welt - kein Hunger" im deutschen Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und leitete dort mehr als 10 Jahre die Arbeit des BMZ in den Bereichen Ernährungssicherung, Landwirtschaft und ländliche Entwicklung.

“ Wenn wir die Vielfalt der Nutzpflanzen verlieren, werden unsere Ernährungssysteme weniger widerstandsfähig gegen Umwelt- und andere Schocks. Die Stärkung unserer Ernährungssysteme wird nicht einfach sein," so der Geowissenschaftler."
Reiskulturen auf den Philippinen

In Zeiten des Klimawandels geht es darum, der Landwirtschaft zu helfen, mit klimatischen Extremen Schritt zu halten. Biodiversität spielt dabei eine bedeutende Rolle, denn sie ermöglicht den Forschern, resistente und robuste Kulturpflanzenarten zu züchten, die auch unter stark veränderten klimatischen Bedingungen ertragreich sind. So können zum Beispiel Pflanzen aus einem Teil der Erde, wo extreme Klima- oder Umweltbedingungen herrschen, woanders die Antwort auf den Klimawandel sein.

Vielfalt an Samen für wachsende Weltbevölkerung

Die Gründe für eine klimaresistente, anpassungsfähige Landwirtschaft liegen auf der Hand: Heute leben sieben Milliarden Menschen auf der Welt, in 50 Jahren könnten es über zehn Milliarden sein. Sie alle ernähren sich von Gemüse, Früchten, Getreide und Fleisch von Tieren, auf deren Speiseplan ebenfalls Pflanzen stehen. Das bedeutet, dass in Zukunft mehr Menschen mit dem vorhandenen Land und Wasser ernährt werden müssen. Eine fundamentale Herausforderung, die nur mit der Vielfalt an Samen zu bewältigen ist.

Dr. Stefan Schmitz, Geschäftsführer des Crop Trust mit Sitz in Bonn

"Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass auf der Erde alles miteinander verbunden ist, die Herausforderungen gemeinsam angegangen und Lösungen gemeinsam entwickelt werden müssen", so Dr. Stefan Schmitz.

Es gebe viele Antworten und keine Patentlösungen, aber in einem ist sich Schmitz sicher: "Nichts wird gelingen, wenn es keine Nutzpflanzenvielfalt gibt, mit der wir arbeiten können.“ Zusammen mit 28 gleichgesinnten Organisationen hat der Crop Trust daher die Charta des Globalen Landschaftsforums unterzeichnet, ein weltumspannende Gemeinschaft, die sich für eine produktive, gerechte und gesunde Umwelt einsetzt.

Farmerinnen in Vietnam

Was ist der Crop Trust?

Der Diversity Crop Trust Fonds bzw. Welttreuhandfonds für Kulturpflanzenvielfalt wurde 2004 von der Welternährungsorganisation (FAO) und von Bioversity International gegründet, 129 Staaten haben diesen internationalen Vertrag ratifiziert. In den Fonds haben Länder wie die Niederlande, Irland oder Japan eingezahlt, aber auch Stiftungen wie die Gates Stiftung oder nationale Institute zur Landwirtschaftsforschung gehören zu den Gebern. Der Hauptsitz des Crop Trust befindet sich im ehemaligen Bonner Parlamentsgebäude, Deutschland ist eines der größten Geberländer. Der Fonds koordiniert das Qualitätsmanagement von Saatgutbanken weltweit, gründet neue und stattet sie aus und stellt Mittel für die Vorbereitung der Samen und deren Transport nach Spitzbergen zur Verfügung.

Mitmachen:

Biodiversität zu fördern ist nicht nur ein thema für Forscher. Jeder kann dazu einen Beitrag leisten, zum Beispiel so: Obst und Gemüse aus der Region und aus ökologischem Anbau bevorzugen; Urban Gardening Porjekte ins Leben rufen oder unterstützen; Garten naturnah gestalten, auf Pestizide verzichten, Wiesen wachsen lassen; Insektenkästen für Balkon und Terrasse; Politikerinnen und Politiker wählen, die sich für die Natur einsetzen.