Sie haben bis 2021 das Bundesumweltministerium (BMU) geführt, nun leiten Sie das BMZ – wie können Sie Ihre Erfahrungen aus dem BMU ins BMZ einbringen?
Für viele der Themen, die mir als Umweltministerin schon wichtig waren, setze ich mich nun als Entwicklungsministerin international ein: für den Klimaschutz, für den Erhalt der Artenvielfalt oder für weniger Plastik in den Weltmeeren. Im BMZ unterstützen wir Partnerländer beim Klimaschutz, zum Beispiel bei einer sozial gerechten Energiewende oder auch dabei, CO2-Speicher wie Moore und Wälder zu erhalten.
Und wir unterstützen bei der Anpassung an den Klimawandel. Zum Beispiel bei der Transformation hin zu einer nachhaltigen und widerstandsfähigen Landwirtschaft, etwa mit Projekten zum Bodenschutz, um trotz Klimawandel die Fruchtbarkeit der Böden zu erhalten und damit zur Ernährungssicherung beizutragen.
Und natürlich geht es auch um die Unterstützung bei der Bewältigung der Klimaschäden. Die ärmsten Länder haben am wenigsten zum Klimawandel beigetragen, leiden aber am stärksten darunter. Im Entwicklungsministerium gilt genau wie damals im Umweltministerium: Gerechtigkeit und soziale Sicherheit sind Grundbedingungen für einen erfolgreichen Kampf gegen die Klimakrise.
Durch die Corona-Pandemie hat es große Rückschritte etwa bei der Bildung, bei Hunger oder Ungleichheit gegeben – was machen diese Rückschläge mit Ihnen persönlich?
Die Weltlage ist bedrückend. Gerade für die ärmeren Länder ist die Pandemie zu einer Polypandemie geworden: Die Schulen waren lange geschlossen, die Kinderarbeit hat zugenommen. Tuberkulose und Malaria breiten sich gerade wieder aus. Den meisten Entwicklungsländern fehlen Strukturen und finanzielle Mittel, um auf diese vielschichtigen Pandemiefolgen reagieren zu können.
Und jetzt kommt der russische Angriffskrieg in der Ukraine dazu, durch den sich die weltweite Ernährungslage nochmals dramatisch verschärft hat. Aber wir können die Rückschritte wieder aufholen, wenn wir solidarisch sind. Zum Beispiel unterstützen wir die Organisation Education Cannot Wait, um Kinder wieder zurück in die Schulen zu bekommen, wir haben ein Bündnis für globale Ernährungssicherheit gestartet und werden auch unseren Beitrag zum Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria erhöhen.
Damit helfen wir, die Bekämpfung der Epidemien wieder auf Kurs zu bringen – und es gibt jetzt bereits wieder Fortschritte, das stimmt mich optimistisch.
„Wir können die Rückschritte wieder aufholen, wenn wir solidarisch sind“
Was treibt Sie an, sich diesen Herausforderungen zu stellen?
Wir dürfen nicht resignieren! In Deutschland haben wir die ökonomische Kraft, uns gegen all diese Krisen zu stemmen. Es ist eine Frage der Solidarität und gemeinsamer Verantwortung für unsere Welt, andere Länder zu unterstützen. Und wir müssen alle Probleme parallel angehen.
Mir ist dabei ganz wichtig, dass wir mit der Lösung der einen Krise nicht die andere verschärfen. Wenn wir jetzt zum Beispiel sagen würden, dass wir überall nur noch Weizen anbauen, um die akute Ernährungskrise zu lindern, und dafür dauerhaft die letzten natürlichen Flächen nehmen, dann steuern wir bei der Artenvielfalt in die nächste Katastrophe.
Ihr Ministerium verfolgt eine feministische Entwicklungspolitik – was genau ist damit gemeint?
Bei einer feministischen Entwicklungspolitik geht es um Chancengleichheit und Gerechtigkeit, davon profitieren alle. Gleichberechtigung ist ein Schlüsselfaktor für die gesamte Nachhaltigkeitsagenda. Auf die Stärkung von Frauen zu setzen, führt nachweislich zu besserer Entwicklung und stärkt die gesamte Gesellschaft.
Konkret heißt das in unserer Arbeit, dass wir Frauen und Mädchen noch stärker in den Blick nehmen. Dafür führen wir Quoten ein, bis 2025 sollen 85 Prozent unserer Projekte mit Partnerländern Geschlechtergerechtigkeit auch zu einem Thema machen und die Quote der Projekte, die sich hauptsächlich um Gleichstellung kümmern, verdoppeln wir.
Und wir werden auch zusammen mit unseren Partnern vor Ort daran arbeiten, die Machtstrukturen und sozialen Normen zu verändern, die den Benachteiligungen und Ungleichheiten zugrunde liegen.
Den „Marshallplan mit Afrika“, mit dem Ihr Vorgänger Gerd Müller deutsche Privatinvestitionen in Afrika fördern wollte, verfolgen Sie nicht weiter. Warum?
Afrika bleibt natürlich enorm wichtig in unserer Arbeit. Derzeit arbeiten wir an unserer neuen Afrikastrategie. Beim Marshallplan muss ich an den ursprünglichen Marshallplan denken. Seinerzeit hat eine Siegermacht Hilfe beim Aufbau des besiegten Landes geleistet. Meine Vorstellung ist, dass wir mit Partnerländern auf Augenhöhe gemeinsam an der Lösung nationaler, regionaler und globaler Probleme arbeiten. Das Wort Marshallplan passt nicht dazu.
Kann auch jede:r Einzelne etwas beitragen, um Entwicklungsländer zu unterstützen?
Auf jeden Fall. Wir alle können beim Einkaufen darauf achten, fair gehandelte Produkte zu wählen, oder man kann auch eine der vielen engagierten Organisationen unterstützen. Wir haben alle in der Corona-Krise gelernt, wie groß die Vernetzung in der Welt ist, und ich glaube, das Verständnis für Entwicklungspolitik ist in der Bevölkerung dadurch noch weiter gestiegen. Ich erlebe hierzulande unglaublich viele Menschen, die sich engagieren, damit es Menschen anderswo auf der Welt besser geht.
Als Ministerin sind Sie viel in Entwicklungsländern unterwegs – was überrascht sie dort immer wieder?
Meine ersten Reisen haben mir die große Bandbreite an Themen unserer Arbeit gezeigt - von der Versorgung von Binnenflüchtlingen, der Ernährungssicherung, dem Aufbau einer Impfstoffproduktion, oder auch dem Umweltschutz. Und, überall wo ich Gespräche mit Frauen führen konnte - in einer Kaffeekooperative in Ruanda oder in Bolivien im Madidi- Nationalpark - die Nachricht, dass wir künftig in unserer Arbeit noch stärker auf Frauen setzen, wurde mit großer Freude aufgenommen und hat mich auch nochmals bestärkt, unsere feministische Entwicklungspolitik voranzutreiben.