Es war eine Begegnung, die Andrea Burys Berufsleben durcheinanderwirbelte – und ihr eine große Frage stellte. Sie war gerade in São Paulo gelandet und fuhr zur Formel-1-Rennstrecke. Das war Anfang der 2000er-Jahre, ihr gehörte damals eine kleine Agentur für Sponsoring und Events und sie betreute den Sponsor des Events, eine Automarke.

Der Bus, in dem sie mit ihren Kunden unterwegs war, fuhr durch eine Favela am Rande der brasilianischen Riesenmetropole. Menschen, die den Bus sahen, kamen auf ihn zugelaufen, klopften an die Scheiben, baten flehend um ein paar Münzen. „Es war für mich die erste direkte Konfrontation mit extremer Armut“, erzählt Andrea Bury, und die ließ sie nicht so schnell wieder los.

Während ihre Kunden auf dem Event kurz darauf die Champagnerkorken knallen ließen, fragte sich Bury, die Wirtschaftswissenschaften studiert hatte: „Sollte ich mit meinen Fähigkeiten nicht etwas Sinnvolleres tun?“

Das tat sie. Sie begann damit, ihre Events grüner zu gestalten, was damals längst nicht Standard war. Zwei Jahre später zog sie mit ihrem damaligen Mann nach Marrakesch. Gemeinsam renovierten sie in der Altstadt ein Riad, ein traditionelles marokkanisches Haus, und gründeten einen Thinktank, der sich mit Fragen zu Nachhaltigkeit und Innovation befasste. Und da das Riad in der Zeit, in der der Thinktank nicht tagte, sonst leer gestanden hätte, eröffneten die beiden darin zusätzlich ein kleines Boutique-Hotel.

Begegnungen, die das Leben verändern

Wieder waren es Begegnungen, die Andrea Burys Denken befeuerten. Die Begegnungen mit den Handwerkern, die ihnen halfen, das Haus zu renovieren, mit ihren Mitarbeitenden im Hotel, aber auch mit den Frauen, die sie auf den Märkten Marokkos traf. Gerade die feinen Berbertaschen mit den kunstvollen Stickereien hatten es ihr angetan.

So kam sie ins Gespräch mit den Kunsthandwerkerinnen, die sie fertigten. Und erneut wurde ihr bewusst, wie privilegiert sie war. „Ich konnte mir aussuchen, was ich studieren wollte, ich entscheide, was ich anziehe und wen ich liebe – oder auch nicht“, dachte sie. „Und das bloß, weil ich das Glück hatte, als Frau in Deutschland geboren worden zu sein.“ Für viele marokkanische Frauen sind diese Dinge nicht selbstverständlich. Viele Entscheidungen werden für sie getroffen.

In Andrea Bury wuchs der Wunsch, die Frauen vor Ort in ihrem traditionellen Umfeld zu unterstützen.

Wenn es mir gelingt, ihnen dabei zu helfen, finanziell etwas unabhängiger zu werden, dachte sie, werden sich weitere Schritte vielleicht von selbst entwickeln.

Bury stellte erst einmal Fragen: Was braucht ihr? Was wünscht ihr euch? Wie könnte ich euch unterstützen?

„Using business as a force for good“ ist das Credo, das die Sozialunternehmerin bis heute überzeugt. Außerdem sah sie eine gemeinsame Chance – eine Zusammenarbeit. So entstand letztlich die Idee zu ABURY, einem hybriden Business-Modell, das sie 2011 gründete. Es besteht aus dem Fairtrade-Label ABURY Collection GmbH und der ABURY Foundation.

Über die GmbH vertreibt sie das Kunsthandwerk jener Kunsthandwerkerinnen, mit denen sie über die Jahre persönlich Kontakte aufgebaut hat – darunter Schals, Berbertaschen, Wolldecken, Schuhe, Schmuck und vieles mehr aus Ländern wie Ecuador, Marokko, Kenia und Äthiopien. Gemäß ihrem Leitsatz, Wirtschaft als Kraft für das Gute zu nutzen, berät ABURY die Kunsthandwerkerinnen in der Weiterentwicklung ihrer Designs und des Qualitätsmanagements, wodurch neue Absatzmärkte für die Waren entstehen.

Unterstützung gemeinnütziger Projekte

Die Hälfte der Gewinne aus der GmbH fließen in die Stiftung, mit der Andrea Bury gemeinnützige Projekte unterstützt. Dazu zählen beispielsweise Alphabetisierungskurse für Frauen in marokkanischen Berberdörfern, wo viele keinen Zugang zu Wissen und Bildung haben und weder schreiben noch lesen können.

Außerdem entwickelt die Stiftung gerade mit einem Partner vor Ort ein Mikro-Entrepreneurship-Programm für junge Frauen in den ländlichen Gebieten Marokkos, um sie bei der eigenen Unternehmensgründung zu unterstützen.

Mithilfe von Sonderprojekten hat die Stiftung auch schon Kindern die Schulbildung finanziert, Kunsthandwerkerinnen eine Augen-OP bezahlt oder Weberinnen neue Webstühle gekauft.

Andrea Bury im ihrem 300 Jahre alten Stadthaus „Anayela“ in Marrakesch. Foto: ©Mike Meyer
Bury stellte erst einmal Fragen: Was braucht ihr? Was wünscht ihr euch? Wie könnte ich euch unterstützen?“

Kürzlich nahm die umtriebige Sozialunternehmerin auch an einem Inkubator-Programm des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) teil, welches das Unternehmertum von Frauen in ländlichen Gegenden Ruandas fördern soll. Nun wird „Becoming Nala - the first entrepreneurial sisterhood in Ruanda“ umgesetzt.

Immer unterwegs für die gute Sache

Innerhalb der ABURY Foundation hat sie mit dem „Positive Impact Lab“ noch einen Consultancy-Bereich aufgebaut, mit dem sie Unternehmen auf ihrem Weg zu mehr Nachhaltigkeit unterstützt. Bury ist daher ständig unterwegs. Fragt man sie, was sie bei ihrer Arbeit für ABURY besonders motiviert, nennt sie vor allem zwei Dinge.

Zum einen sei es das Feedback, das sie aus den Ländern erreicht: „Wenn nach Jahren der Zusammenarbeit plötzlich eine Frau anklopft und sagt: ‚Ich habe da eine Idee für ein neues Design oder ein eigenes Business!‘, ist das das Größte für mich“, erzählt sie. Schließlich geht es Andrea Bury um Selbstermächtigung. Sie versteht sich als „Anstupserin“, als jemand, die hilft, Prozesse anzustoßen, behutsam und ohne zu sehr einzugreifen.

„Solche Entwicklungen stellen sich nicht schon nach anderthalb Jahren ein“, weiß sie. „Sozialer Impact braucht Zeit, Vertrauen und Liebe.“ Und zwar auf beiden Seiten: Es geht darum, einander zuzuhören, voneinander zu lernen und langfristige Beziehungen aufzubauen. Doch da ist noch etwas, was sie antreibt: „Es macht mir auch einfach großen Spaß.

Mitmachen:

Das eigene Bewusstsein für Geschlechtergerechtigkeit schärfen und die Augen dafür öffnen, wo Frauen (oder auch Männer) benachteiligt werden, und sich fragen, was getan werden kann, um das zu ändern. www.abury.org