Heute möchten wir – nach den täglich auf uns einprasselnden negativen Nachrichten – mal einen positiven Aspekt der Pandemie in den Mittelpunkt rücken. Denn ja, es gibt ihn!

Was manche bereits als Bauchgefühl in sich gespürt haben, wird nun von den fortlaufenden Studien des Rheingold Institutes, Köln, bestätigt, die seit Beginn der Coronakrise durchgeführt wurden.  Im Laufe der Pandemie trat den Studien zufolge deutlich zutage, dass die Krise einen Paradigmenwechsel von einem „Wachstum um jeden Preis“ hin zu einer achtsameren „Kultur des Bewahrens“ beschleunigt hat. Damit bestätigt sie die Hoffnung, die Christian Felber in einem Interview mit uns im Mai 2020 geäußert hatte.

Wie triggert Corona den Sinneswandel hin zu mehr Nachhaltigkeit?

In tiefenpsychologischer Forschung kam heraus, dass vier Aspekte den Sinneswandel bei VerbraucherInnen in Corona-Zeiten beschleunigt haben.

  1. Corona hat bewiesen: Konzertierte Anstrengungen können dem Planeten wenigstens kurzfristig Entlastung verschaffen. Angesichts von Bedrohungsszenarien ist es nun erwiesenermaßen möglich, dass die Weltgemeinschaft den Treibhausgas-Ausstoß gemeinsam reduzieren kann – wenn der Wille da ist. Diese Erkenntnis beflügelt eine optimistischere Grundhaltung gegenüber einer langfristigen Reduktion von Treibhausgasen.
  2. Corona hat die Konsumenten empfindsam gemacht. Zum einen ist da die Sorge um sich selbst und die Liebsten. Damit einher geht auch die Sehnsucht nach Entschleunigung und einem bewussteren, gesünderen Lebenswandel. Zum anderen haben wir alle durch die Lockdowns mehr Zeit für Selbstbeobachtung und auch die Wahrnehmung von Stimmungen und Haltungen anderer. Ein möglicherweise latent vorhandenes schlechtes Gewissen über den eigenen Konsum geht über in eine bewusste Reflektion zur Nachhaltigkeit.
  3. Durch die Lockdowns verbringen junge Menschen als Treiber eines neuen Ernährungs- und Konsumverhaltens viel mehr Zeit mit der Familie. Das regt Eltern zur Reflektion an, es wird mehr vegetarisch oder gar vegan gekocht, schließlich möchte man nicht für jeden in der Familie ‚eine Extrawurst braten‘.
  4. Teilnehmende der Studien sehen in Corona die Rache des Planeten für einen Lebensstil, der Ressourcen verschleudert. Ähnlich wie die Anhänger der Gaia-Hypothese glauben einige Menschen, dass die Erde ein eigenes Lebewesen ist, das sein Immunsystem gegen schädliche Bewohner aktiviert. Einige religiös orientierte Teilnehmende der Studien sehen in der Pandemie gar die Strafe Gottes für den schlechten Umgang mit der Schöpfung. Für diese Menschen ist klar: Nun muss noch konsequenter und mit vereinten Kräften gehandelt werden.

Corona macht die Nachhaltigkeit nachhaltig

Man kann bei der Beschleunigung nachhaltigen Konsums durch die Ereignisse der Pandemie von einem Paradigmenwechsel sprechen. Voraus ging diesem aber eine lange Latenzperiode, in der sich nur schleichend ein Bewusstsein für nachhaltigeren Konsum ausgebildet hatte.

So interessierten die Themen rund um nachhaltige Entwicklung und verantwortungsvollen Konsum lange Zeit nur einen kleinen Teil der Bevölkerung, während die Mehrzahl der Verbraucher– trotz vieler Skandale etwa in der Lebensmittelproduktion oder in der Produktion von Kleidung – ihrem Konsumverhalten treu blieb. Das hat sich durch die Pandemie verändert.

Einen wirklichen Schub hin zu dieser Trendwende kam jedoch schon vor der Pandemie – und zwar aus der Jugend. Eltern konnten beobachten, dass sich ihre Kinder vom Lebensstil der Elterngeneration distanzieren. Teilen statt Besitzen, Upcycling statt Neukauf, Lebensmittel retten statt Wegwerfen, Fahrrad statt Auto, vegane oder vegetarische Ernährung statt Fleischkonsum – das zeigt die klare Haltung, die die Jugend gegenüber Themen wie Umwelt, Klima, Artenschutz oder und Tierwohl einnimmt.

Hinzu kommt die Fridays for Future-Bewegung, die mit „Wir sind jung, wir sind laut, weil Ihr uns die Zukunft klaut!“ die Verantwortung für den Zustand des Planeten klar benannt hat. Langsam fingen Erwachsene an, sich für ihren Lebenswandel und Konsum auch ein wenig schuldig zu fühlen und man konnte beobachten, dass sich zahlreiche Eltern und Großeltern für die Anliegen der Kinder und Enkel aussprachen  und sie unterstützten.

Nachhaltigkeit am Point of No Return

Die Forschung betont immer wieder, dass echte Haltungsänderungen schwer umkehrbar sind. Das ist gut, denn haben die Menschen erst einmal angefangen, nachhaltig zu denken und zu handeln, erzeugt ein Zuwiderhandeln sogar  inneren Widerstand. Ist also beispielsweise das Bio-Hühnchen im Supermarkt vergriffen, kommt man lieber am nächsten Tag nochmal, als ein Huhn aus konventioneller Massentierhaltung zu kaufen.

Die Pandemie zeigt somit auch, dass für Unternehmen der Druck gestiegen ist, Produkte und Dienstleistungen so zu gestalten, dass VerbraucherInnen sie gerne und ohne schlechtes Gewissen in Anspruch nehmen. Aktuelle Umfragen und Absatzzahlen bestätigen, dass Nachhaltigkeit immer mehr die Kaufentscheidung der KonsumentInnen beeinflusst. So kam es 2020 beispielsweise bei Bioprodukten zu einem Zuwachs von 17 Prozent bei Bioprodukten und die Umsätze von pflanzenbasierten Produkten der Rügenwalder Mühle liegen gleichauf mit den Umsätzen beim traditionellen Wurstgeschäft des niedersächsischen Unternehmens.

Immer mehr Medien berichten zudem über Veränderungsbestrebungen in Unternehmen und erzählen von Sozialunternehmen, die die Nachhaltigkeit schon im Unternehmenszweck verankern. So unterstützen sich Unternehmen, Verbraucher und Medien in ihrem Wandel gegenseitig. Der soziale Druck zur Nachhaltigkeit steigt also. Mit konventionellem Konsum kann man sich immer schlechter ‚sehen lassen‘. Wir stehen an einem Point of no Return – gut so! ‌‌‌‌‌‌


Die Studien des renommierten Kölner Rheingold Instituts werden von einem Team von PsychologInnen durchgeführt. Die Studien, auf denen dieser Beitrag basiert, waren schwerpunktmäßig aus den Bereichen Food, Handel, Verbrauchsgütern.Dazu sprachen wir mit Sabine Loch, Psychologin und Senior Research Consultant. Sie betreut im Institut die Schwerpunkte Handel, Food und Non-Profit-Organisationen.