Das Futurium in Berlin bezeichnet sich selber als Haus der Zukünfte. Genau der richtige Ort also, um eine Agenda vorzustellen, die die Digitalisierung von morgen denkt: eine Digitalisierung, die zum Treiber für Nachhaltigkeit, Klima- und Umweltschutz wird. Umweltministerin Svenja Schulze stellte diese Umweltpolititsche Digitalagenda am 2. März 2020 vor. In rotes Licht getaucht und mit Projektionen artifizieller Illustrationen an den hohen Wänden wirkte der Saal des Futuriums ein bisschen wie ein Raumschiff. Auf der Bühne mittendrin, die Ministerin. "Deutschland ist Vorreiter darin, zwei bedeutende Megatrends des 21. Jahrhunderts – Digitalisierung sowie Umwelt- und Klimaschutz – zusammenzudenken", fasste sie die Agenda zusammen. Und betonte: "Wir haben hier Pionierarbeit geleistet“.
Digitalisierung sinnvoll lenken
In der Digitalisierung stecken enorme Potentiale für die Wirtschaft, für die Gesellschaft und für jeden Einzelnen. Sie bringt Medizin in weit abgelegene Regionen, macht Wissen an jedem Ort verfügbar, druckt ganze Häuser, verknüpft Menschen, Unternehmen, Nachbarschaften, die ganze Welt. Digitalisierung bestimmt unser Heute und vor allem unser Morgen.
Sie entwickelt sich rasant und mit ihr der Bedarf an Energie und wertvollen Ressourcen. Severparks für die gigantischen Datenmengen verbrauchen enorme Mengen an Energie und der Bedarf wird – insbesondere auch durch die Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) und den damit einhergehenden Datenmassen – dynamisch weiter wachsen.
Schon in wenigen Jahren könnte der CO2-Ausstoß durch die Digitalisierung höher sein als der des gesamten KfZ-Verkehrs
Die Zeit zu handeln ist jetzt, damit der digitale Fortschritt am Ende den Klimawandel nicht noch befördert. „Politische Gestaltung entscheidet über die Frage, ob Digitalisierung zum Brandbeschleuniger oder zum Werkzeug des Umbaus für eine nachhaltige Zukunft wird“, stellt die Ministerin dar. Es gehe ihr darum, Leitplanken zu setzen, damit Risiken digitaler Technologien begrenzt werden, der ökologische Fußabdruck so gering wie möglich bleibe und gleichzeitig die Potenziale für einen sozial-ökologischen Umbau genutzt werden. Hierfür wurden bereits über 70 Maßnahmen auf den Weg gebracht bzw. werden neu initiiert, um die Digitalisierung nachhaltiger zu gestalten. Dazu zählen so unterschiedliche Maßnahmen wie
- die Fortführung der Green IT-Initiative des Bundes
- das Curriculum „Grünes Coden“ für Studierende der Informatik
- die Errichtung eines nationalen Monitoringzentrums zur Biodiversität
- oder das Förderprogramm KI für Umwelt, Klima, Natur und Ressourcen
Die Digitalisierung des Konsums
Elf der in der Agenda aufgeführten Maßnahmen tragen dazu bei, nachhaltigen Konsum durch digitale Entwicklungen zu fördern. Sie haben Einfluss darauf, wie wir als Verbraucherinnen und Verbraucher, Nutzerinnen und Nutzer in unseren Kauf- und Nutzungsentscheidungen digital unterstützt werden. Konsum ist heute digitalisierter, als es auf den ersten Blick scheint: das reicht von der Informationssuche zu Produkten, Dienstleistungen oder Ladengeschäften über Online-Marketing, Online-Shopping und digitale Bezahlung bis zur digitalen Unterstützung von Secondhand-, Leih- und Sharing-Plattformen.
Big Data trägt zu mehr Konsum bei
Darüber hinaus wird unser gesamtes Lese- und Suchverhalten im Internet getrackt; wenn wir uns mit unserem Social-Media-Account in Plattformen einloggen, geben wir mit einem Klick noch mehr von uns preis. Das Resultat: „maßgeschneiderte“ digitale Profile und Big-Data-Analysen, die es dann wiederum erlauben, dass wir mit personalisierter Werbung passgenau „beliefert“ werden – und zwar genau dann, wenn Algorithmen ermittelt haben, wann wir dafür am aufnahmefähigsten bzw. in der aus Produktsicht geeignetsten Lebenssituation sind. Auf diese Weise werden zusätzlich Konsumwünsche geweckt, von denen wir oft noch nicht mal selber wussten, dass wir sie haben. Mögliche Folge: Der Konsum wird befördert, es wird zuviel gekauft, manches nicht gebraucht und ein erheblicher Teil sogar zurückgeschickt.
Vermeidung von Retouren schützt das Klima
Jährlich werden gebrauchsfähige Waren im Wert von mehreren Milliarden Euro zurückgesendet und bei den Händlern vernichtet – weil es günstiger ist als eine Wiederaufbereitung oder schlicht, um bei Luxusgütern die Preise hoch zu halten. Darum ist die Vermeidung von Retouren ein ganz wichtiger Beitrag zu mehr Umwelt- und Klimaschutz . Das kann schon beim Kauf beginnen, indem bestmögliche Artikelbeschreibungen zu weniger Rücksendungen führen. Indem intelligente Assistenzsysteme helfen, nachhaltige Konsumentscheidungen zu treffen. Indem die Zahl der Fehlkäufe reduziert wird, weil durch Avatare Kleidung digital anprobiert werden kann. Neben diesen digitalen Entwicklungen kommt eine politische Neuerung hinzu: Es braucht verpflichtende Auflagen für Händler, um gebrauchsfähige Waren nicht zu vernichten – enthalten in der Novelle des Kreislaufwirtschaftgesetzes.
Künstliche Intelligenz für nachhaltigen Konsum
Gerade weil das Internet wesentlichen Einfluss darauf hat, wie Angebote, Suchprozesse oder Kaufentscheidungen entstehen, kann durch Steuerung der Informationssuche der Konsum in nachhaltigere Bahnen gelenkt werden. Mit dem Projekt KI4NK (Künstliche Intelligenz für nachhaltigen Konsum) unterstützt das Bundesumweltministerium die Entwicklung eines innovativen Konzepts zur Förderung von nachhaltigem Konsum bei Suchmaschinenanbietern, Onlineshops und Vergleichsportalen. Die Stellschrauben umfassen zum Beispiel Algorithmen für Suchanfragen und Produktvorschläge, berücksichtigt sind dabei Energieeffizienz, Informationen zum ökologischen und sozialen Fußabdruck, Umweltsiegel oder Filtereinstellungen für nachhaltige Produkte. Aber auch die Transparenz der Kriterien von Suchmaschinen wäre wichtig, um Konsumenten die Möglichkeit einzuräumen, diese Suchoptionen selbst einzustellen.
Der digitale Produktpass
Um gut informierte Kaufentscheidungen zu treffen, muss man wissen, unter welchen Voraussetzungen produziert wurde. Der Produktpass, eines der Herzstücke der Agenda, soll Unternehmen verpflichtende Reportings erleichtern und Transparenz schaffen über die ökologischen Wirkungen der Herstellung und der enthaltenen Materialien, aber auch zu Reparatur und sachgerechter Entsorgung. Zunächst sollen besonders ressourcen- und energieintensive Güter wie Informations- und Kommunikationsartikel einen solchen Pass bekommen.
Filme streamen ohne schlechtes Gewissen
Am Beispiel der Streeming-Dienstleister werden die positiven Auswirkungen politischer „Leitplanken“ besonders deutlich. Durch Vorgaben für Unternehmen können erhebliche Ressourcen eingespart werden: Videos müssen nicht ungefragt loslaufen, wenn man einfach nur mit der Maus über das Bild fährt. Musik-Videos könnten als reine Audio-Version ohne bewegte Bilder angeboten werden oder Rechenzentren mit 100 Prozent erneuerbaren Energien betrieben werden.
Und weil wir alle jeden Tag die schöne neue Welt mit unseren Telefonen nahezu ununterbrochen bei uns tragen, dürfen clevere Lösungen für das Smartphone nicht fehlen. Hersteller sollten beispielsweise dazu verpflichtet werden, Handys und Tablets so zu bauen, dass man Einzelteile wie den Akku einfach austauschen kann – das nennt man right to repair. In der Ökodesign-Richtlinie für Smartphones ist aber noch mehr geregelt:
- leichte Austauschbarkeit von einzelnen Komponenten wie Akku, Display
- Ersatzteile über mehrere Jahre bereithalten
- Reparaturen zu einem vernünftigen Preis anbieten
- Updates dürfen nicht zu mehr Energieverbrauch führen oder dazu, dass die Hardware nicht mehr funktioniert
- Kennzeichnung von seltenen Erden
Die Umweltpolitische Digitalagenda ist ein wichtiger und richtiger Schritt, denn sie schafft die notwendige Aufmerksamkeit für das Thema Umweltschutz in der Digitalisierung . Bei der EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 will Deutschland Impulse im Sinne der Agenda setzen. Ausführliche Informationen – auch zu den drei anderen großen Tansformationsfeldern „Industrie 4.0“, „Mobilität“ sowie "Naturschutz, Land- und Wasserwirtschaft“ – zeigt die Broschüre Umweltpolitische Digitalagenda auf.