Die Halle im „Freiraum in der Box“, einem Co-Creation-Space in Berlin Friedrichshain, ist gut gewählt: Mittendrin im demografisch jüngsten Kiez Berlins trifft sich eine Community, die sich nichts Geringeres vorgenommen hat, als junge Menschen und Erstwähler von der Kraft der eigenen politischen Stimme zu überzeugen.

„Es war noch nie so wichtig wie bei dieser Wahl, seine Stimme abzugeben, denn es wird eine vier Jahre lange Wahl sein,“ ruft Luisa Neubauer ihren hochmotivierten Mitstreiter*innen im Saal zu. „Wir werden jedes einzelne Versprechen der Parteien einfordern – und zwar während der gesamten Legislaturperiode.“

Für die deutsche Fridays-for-Future-Frontfrau steht fest, dass man diese bereits in wenigen Wochen stattfindende Bundestagwsahl in ihrer Bedeutung nicht überschätzen kann. „Fangen wir doch einfach mal an, uns in dieser Wahl ernst zu nehmen,“ fordert Luisa Neubauer auf den Punkt. Mehr junge Menschen am 26. September an die Wahlurnen zu bringen – dafür setzt sich Neubauer ab sofort auch selbst ans Telefon und ruft – gemeinsam mit hunderten weiterer Engagierter – Menschen an, um sie zum Wählen zu motivieren.

Junge Menschen könnten den Wahlkampf entscheiden

Tatsächlich ist es der knappste Wahlkampf in der Geschichte der Bundesrepublik: Zum Zeitpunkt der Veranstatlung liegen die drei Kandidat*innen sehr nah beieinander: 23 Prozent für CDU/CSU, 21 Prozent für die SPD und 19 Prozent für die Grünen. Was diese Hochrechnungen bedeuten, das weiß auch Julius van de Laar, Kampagnen- und Strategieberater mit langjähriger, internationaler Kampagnenerfahrung. Im US-Wahlkampf 2012 leitete er die Wählermobilisierung für Barack Obama im wahlentscheidenden Schlüsselstaat Ohio, nachdem er 2007 und 2008 bereits hauptamtlicher Wahlkämpfer für Obama war.

„Jede gute Kampagne braucht einen Gegner. In der Obama-Kampagne war es John McCain und es ging darum, den ersten schwarzen Präsidenten ins Weiße Haus zu bringen", so van de Laar. Und er macht deutlich:

"Heute haben wir bei UNMUTE NOW einen klaren Gegner: Das ist die Stille! Dieses Nicht-Gehört-Werden gilt es zu beenden."

Es gibt in diesem Jahr 2,8 Millionen Erstwähler und der Anteil der 18-29-Jährigen liegt bei 11,1 % der Wahlberechtigten. Darin sieht Wahlstratege van de Laar ein großes Momentum, denn ein Großteil dieser Gruppe sei noch unentschlossen. Das bedeutet, dass  2021 junge Menschen die Wahl entscheiden könnten, und das, obwohl sie deutlich in der demografischen Unterzahl sind – über 40 % der ‚Wahlberechtigen stellen die Über-Sechzigjährigen.

Die Initiative UNMUTE NOW (in diesem Beitrag haben wir sie ausführlich vorgestellt) hat über seinen Open Social Innovation-Ansatz ein Reallabor geschaffen, wo zu erleben ist, wie die Beteiligung junger Menschen an Wahlen gefördert werden kann. Aus ganz Deutschland wurden 30 Initiativen ausgewählt, die ab sofort die Unmute-Taste drücken und loslegen.

Viele von ihnen sind nach Berlin gekommen, so wie Vielfalt wählt, Brand New Bundestag, Good News Magazin, Hip Hop Jugendparlament, Y'Alla Nachbarschaft, Crowd Countern, Street College, Fiscal Future, Enkelkinderbriefe, Dein Almania, Follow the vote und +me.

„Demokratie muss von jeder Generation neu definiert werden.“

So bringt es Noah Schöppl auf den Punkt. Er ist Co-Lead von UNMUTE NOW und seit langem im Team von Project Together in Berlin aktiv, die UNMUTE NOW ins Leben gerufen haben und dabei von der Alfred Landecker Foundation unterstützt werden.

Nun also der Startschuss: Ab 23. August wird die Kampagne laut, weil eine große und sehr engagierte Community dahintersteht, die digital und live daran arbeitet, eine Million junge Menschen anzusprechen und hundert Community Organizer zu mobilisieren.

Von Projektionen bis Tinder – Bundestagswahlkampf mal anders

Los ging es bereits mit Fassadenprojektionen in Freiburg, Frankfurt, Köln, Leipzig, Berlin und Hamburg, wo an bedeutenden Wahrzeichen der Stadt, wie der Elbphilharmonie in Hamburg, Fragen wie „Wo ist unsere Zukunft?“ projiziert wurden. Zwar gab es von den Ordnungskräften immer auch Hinweise oder auch mal Verweise, doch die meisten Polizist*innen waren der Kampagne gegenüber sehr aufgeschlossen und drückten gerne mal ein Auge zu. „Wir merken, dass sich jetzt vor der Wahl wirklich eine Dynamik aufbaut“, so Noah Schöpl.

Zudem starten jetzt die UNMUTE NOW-Tourbusse und sind überall in Deutschland unterwegs, um auf das Thema der „stummen jungen Wahlberechtigen“ aufmerksam zu machen. Die Tour führt nach Cottbus, Hannover, Augsburg, Frankfurt, Mannheim, Köln, Hamburg Belitz, Rostock und Berlin und wird von einem starken Social-Media-Storm auf Twitter und Instagram begleitet.

TikTok hat zum Tourstart ebenfalls eine Video-Kampagne gestartet und auch die Dating-App Tinder hilft bei der Kommunikation und hat – wie sollte es anders ein – „Wählen ist sexy“ ins Leben gerufen. Dass bereits seit Monaten Influencer*innen in das Thema eingebunden sind, ist da schon fast selbstverständlich.

Und was wäre dem Team von UNMUTE NOW und allen Mitstreiter*innen die liebste Headline am Montag Morgen nach der Wahl?

Dass die nächste Bundesregierung die jungen Stimmen mit einbezieht und einen echten Open Social Innovation Prozess in den Koalitionsvertrag mit verankert, der sich junge Stimmen aus 299 Wahlkreisen mit reinholt und während der gesamten Legislaturperiode junge Menschen mit einbindet.

Headerbild: @Teresa Rodriguez